Das obszöne Verlangen nach Kitsch

Fotografie / Kunst

Nationaler Kitsch als Zeichen der postmodernen Nationalerzählung. Mitten in dem Stadtzentrum eines Kleinstaates stehen frisch errichtete die Säule und der Brunnen. Krönung dieses Ensembles ist eine bombastische Reiterstatue, die einen markigen Heroen mit gezückten Schwert auf einem merkwürdig fettem Pferd zeigt. Der Reiter hält das Schwert in die Höhe, während sich das Pferd aufbäumt. Nichts wirkt proportioniert. Nachts und in der Dämmerung wird der Brunnen mit wechselnden bunten Strahlern beleuchtet, was ihm die Anmutung einer Wohnzimmerdekoration aus Fernost verleiht. Anderswo in im Stadtzentrum herzen bronzene Mütter ihre figürlich mißratenen Kinder. Ein weiterer Recke auf der Säule hat Waden, die selbst Arno Breker als zu muskulös empfunden hätte. Und am Fluss entstehen neue Bauten mit antikisierenden Säulen und Spiegelglas, barocken Lünetten oder palladianischen Fassadenaufrissen, es sieht aus, als müsste das Verwaltungszentrum einer rasch wachsenden Versicherungsgesellschaft gebaute Solidität erhalten.

Das ist nicht die Hauptstadt einer Öldespotie im asiatischen Raum, es ist Skopje, die Hauptstadt eines kleinen Landes in Europa: Mazedonien, das kurz vor einem Bürgerkrieg zwischen den mehrheitlich muslimischen Albanern und orthodoxen Slawen stand. Das Kreuz auf der Bergkuppe, das seit etlichen Jahren die Stadt dominiert, ist ein sichtbares Zeichen der ethnischen Spannungen und des festen Willens christlicher Hardliner, diese zu erhalten. Skopje 2014, so heisst das Projekt des Stadtumbaus, soll nun dem zerrissenen Land eine neue Identität geben. Nikola Gruevski, der Ministerpräsident, hat eine kurze Karriere im Investmentbereich hinter sich und später in Mazedonien die flat tax eingeführt. Einige bezeichnen ihn als Populisten, Ziel seiner Politik ist es offenbar, Mazedonien als Nation zu etablieren und diese in die EU und die Nato zu bringen. Dafür wurde seit Jahren gebaut und die Stadt in eine Neuauflage imperialer Symbolik verwandelt. Nachts leuchten die Brunnen, die Lüster und das Magenta der Telekom, deren Leuchtreklame aus riesigen Lettern besteht. Es könnte Las Vegas oder ein Computerspiel sein, wären nicht die wuchtigen Betonbauten der späten Tito Ära überall verteilt. In ihrem Brutalismus scheinen diese zu dem neuen, pathetisch-fleischigen Kitsch zu passen. Was in Skopje wie in einer bissigen Groteske aufscheint, ist der plumpe, kitschige Charakter des schnell errichteten Nationalen, vor allem dann, wenn es mit den Hässlichkeiten der Farbwahl internationaler Konzerne konkurrieren muss. Damit entblösst sich die nationale Marke ungewollt ehrlich als hemmungsloser Kitsch. Er ist nicht zu Bronze erstarrter Jeff Koons, nein, er ist, schlimmer noch, eine ungewollte satirische Verdichtung dessen, was seit Jahrhunderten mit markigen Reiterfiguren und schwellenden Heldenmuskeln europäische Stadtparks und Strassenkreuzungen überzieht. Es wirkt, als wäre die Geschichte Europas in einer ultimativen Höchstleistung der Vulgarität neu recycled worden. In der internationalen Liga des Kitsches hat Skopje einen nahezu unangefochtenen Spitzenplatz erreicht.

Dabei hat Skopje eine europäische Pretiose herausragender künstlerischer Visionen. Nach dem Erdbeben von 1963 mussten weite Teile der Stadt neu errichtet werden. Das Museum für Zeitgenössische Kunst war ein Geschenk Polens und wurde von J. Mokrzynski, E. Wierzbicki und W. Klyzewski entworfen. Es ist von weiten ein wuchtiger, weisser Klotz auf einem Hügel nahe der alten Festung. Von innen wirkt es leicht und luftig, die Sammlung jugoslawischer und europäischer Moderne ist mit Hans Hartung, Victor Vasarely, Alexander Calder, Pierre Soulages, Henryk Staževski, Alberto Burri, Christo, Enrico Bay, Robert Jacobsen, Etienne Hajdu, Zoltan Kemeny, Robert Adams, Emilio Vedova, Antoni Clavé, Dimitar Kondovski, Risto Lozanoski, Petar Mazev, Dušan Percinkov, Rodoljub Anastasov, Tanas Lulovski, Jordan Grabuloski, Jovan Šumkovski und Weiteren absolut erlesen. Jetzt erscheint das von Außen leicht bröselige Museum ein Relikt einer besseren Zeit zu sein. Einer Zeit, die noch Hoffnungen und Bewegung kannte. Sie erscheint licht und leicht zu sein, klug und offen. Auch das war der Balkan.