Überwachsen im Dschungel

Architektur / Fotografie / Theologie

Alte hinduistische und buddhistische Tempel in Kambodscha: Spuren einer metaphysischen Kultur.

Nur wenige Besucher werden die metaphysische Symbolik dieser Anlagen verstehen. Die politische ist verständlich, es sind Anlagen um die königliche Macht eines Großreiches zu symbolisieren. Am Zenit seiner Macht war das Reich der Khmer eines der großen Reiche der Erde und das halb urbane Zentrum ein Konglomerat von intensiv bewirtschafteten Reisefeldern, Tempeln, Wasserspeichern und Dörfern. Die Fläche der Agglomeration, in der eine dreiviertel Million Menschen lebten, war so groß wie Berlin. Natürlich finden sich jetzt in den großen Tempeln imperiale Motive, großflächige Fresken schildern militärische Siege. In Angkor Wat gibt es auch auch mythologische Szenen, das churning of the ocean of milk etwa, der ewige Kampf der hinduistischen Götter mit den Dämonen, in dem die Welt durch eine Schlange in Rotation gesetzt wird. Spätere Anlagen wie Angkor Tom sind buddhistisch.

Aber es gibt eine anderes Motiv, das immer wieder zitiert wird. Die Naga, die Schlange, die sich nicht nur längs der Geländer erstreckt. Ihr Ende ringelt sich auch unter dem Gesäß der Meditierenden während sich ihre sieben Häupter schützend über die Köpfe der Meditierenden erheben: Die Kundalini, die Schlange im Menschen, ist erwacht und trägt den Menschen hinaus aus Raum und Zeit. Das Aufsteigen der Kundalini ist eine der ersten Stufen auf dem Weg zum erwachenden Menschen, der hier, in den Tempeln, Stufe um Stufe den Berg Meru erklimmen soll, den spirituellen Nabel der Welt. Auch hier wird ein langer Prozess der spirituellen Transformation ein Stein gehauen, versinnbildlicht an den verschiedenen Plateaus der Tempel.

Vergessen. Jetzt gehen Touristen, die Selfies machen, durch die Terrassen der Tempel ohne zu wissen, mit welchem Ziel früher die Menschen hier meditieren wollten. Für viele Besucher ist es eine exotische Kulisse, Tomb Raider wurde hier gedreht. Nicht nur der biologische, sondern auch der Dschungel des Nichtwissens hat viele Anlagen überwuchert. Nicht nur, weil niemand genau weiß, warum das Reich der Khmer unterging. Man vermutet Klimaschwankungen, die auch der Zivilisation der Maya den Garaus bereiteten. In dem größten, kilometerlangen Wasserreservoir stehen jetzt Dörfer, die Anlage hat teilweise ihre Funktion verloren. Auch die Symbole sind verbraucht, wie es ist, wenn die Kundalini aufsteigt, wissen nur noch wenige. Geschweige denn, was es heisst, wenn der tausendblättrige Lotus erwacht und was es bedeutet, das als Lebensziel zu wählen.

Nur hört man fast nie das Quengeln und Weinen von Kindern, etwas aus der Essenz des Buddhismus ist immer noch am Leben. Die unfassbaren Gräuel des letzten Jahrhunderts haben offenbar keine in den Kindern und Enkeln sichtbaren Spuren hinterlassen.

Foto 3: © Stefan Hofmann. Foto 2: Die Naga als Symbol der erwachten Kundalini