Passagen im Nichts

Architektur / Fotografie

Wohnbauten von Otar Kalandarishvili und Gizo Potskhishvili, 1974–1976, Shalva Nutsubidze St, Tiflis, Gruzja. Die Brücke erlaubt es den Lift des ersten Wohnbaus zu nutzen um höher auf den Hang zu kommen. Heute müssen Münzen eingeworfen werden, um den Lift zu benutzen.

Ränder der Neuzeit, Teil 5

Denken / Theologie

Devil’s Contract heisst das von James Wood im The New Yorker gelobte Buch von Ed Simon, das eine andere Geschichte über uns schreiben will: In der Neuzeit wurde der Pakt mit dem Teufel en gros unterzeichnet und der Preis des Paktes, unser Ende, der sei jetzt fällig. Es ist natürlich nicht nur die Geschichte des Einzelnen, denn wer hat nicht wissentlich hie und da Unrecht akzeptiert oder getan und dabei die unklare Linie des Paktes mit dem Bösen überschritten? Ed Simon geht weiter, der okkulte Pakt sei die wahre, mit Leidenschaft erzählte Geschichte der Neuzeit, eben jener Zeit als es dem Menschen zunehmen glückte, die Welt zu beherrschen. Wer sich diese Gedanken zu eigen machen will, wird auch leichter den Schatten verstehen, der seit dem faustischen Pakt beharrlich die Moderne begleitet. Ed Simon legt eine Spur, die in ein Denken führt, das in absoluten Kategorien urteilt und alle glitzernden Erfolge der Neuzeit mit einer fast fundamentalistischen Verve als immer tiefere Verstrickungen in ein absolutes Unheil sehen will.

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Jugoslawische Moderne

Architektur / Fotografie

Bauten von Edvard Ravnikar. Republic Square ist eine Ansammlung von diversen Gebäuden, die im Verlauf von 20 Jahren errichtet wurden. In den Komplex wurde das Kulturzentrum Cankarjev dom integriert. Ferantov vrt entstand zwischen 1969 und 1979. Die Apsis an der Slovenska cesta verweist auf die Reste einer darunter liegenden römischen Rotunde.

Edvard Ravnikar, der 1993 starb, hatte bei Jože Plečnik und Le Corbusier gelernt und prägte über Jahrzehnte zusammen mit seinen Schülern eine höchst eigenständige Form der jugoslawischen modernen Baukunst.

Längst ist die Moderne des ehemaligen Jugoslawiens eine vergessene Fundgrube, die in ihren Spitzenleistungen den Traum einer facettenreichen Gesellschaft in sich trägt: „The architecture that emerged—from International Style skyscrapers to Brutalist “social condensers”—is a manifestation of the radical diversity, hybridity, and idealism that characterized the Yugoslav state itself“ schrieb das MoMA 2018 angesichts der Ausstellung Toward a Concrete Utopia.

Oder, anders gesagt, in ihren besten Momenten ist die Moderne des ehemaligen Jugoslawiens ein steingewordenes Abbild einer Ära voller Ideale.

Tote Avantgarde

Architektur / Berlin

Neubaugelände am Tacheles. Obwohl die Investoren mit renommierten Stararchitekten wie Herzog & de Meuron und Brandlhuber+ aufgewartet haben, ist eine durchdringende Langeweile entstanden. Wahrscheinlich haben die renommierten Namen geholfen, renditorientierte Architektur bei den Baubehörden durchzuwinken. Zwar hat Herzog & de Meuron sich bei der Entwurfsplanung an der kaiserlichen Architektur einer Ladenpassage orientiert und zusätzlich begrünte Innenhöfe geschaffen, entstanden ist trotzdem eine nutzflächenoptimierte Stadtlandschaft. Auch wenn der ehemalige Underground in der Galerie Fotografiska museal konserviert wird und die Investoren noch einmal die Vergangenheit, die ehemalige Kingsize Bar, temporär ausstellen, spiegelt der öffentliche Innenhof mit den Fassaden von Herzog & de Meuron nichts als die Ödnis des nach dem Kriege entstandenen Wirtschaftswunderlandes wider.

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A CHAPEL FOR LUKE and his scribe Lucius the Cyrene

Kunst / Theologie

Im Diözesanmuseum Freising, das sonst kirchliche und katholische Devotionalien enthält, findet sich eine überraschende Arbeit von James Turrel. Dort, wo früher die Kapelle des Knabenseminars war, ist jetzt eine Lichtinstallation, die den Raum in eine diffuse Sphäre ohne Tiefe verwandelt, nur eine Öffnung in der Wand verbleibt. Die Farbe des Lichtes wechselt, die Öffnung hat immer eine andere Farbe als der Raum. Die Besucher scheinen im Nichts zu stehen, der Raum löst sich auf, was bleibt ist, wie James Turrel sagt, „No object, no image, no point of focus.“ Mehr als alles andere erinnert dieser Raum an das Nirvana der Buddhisten und steht im krassen Gegensatz zu der sonst so haptischen Bildersprache der übrigen Exponate.

„No object, no image, no point of focus.“

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Ränder der Neuzeit, Teil 4

Denken / Theologie

Es gibt eine merkwürdiges Zeichnung, die alle Vorstellungen der Linearität der Zeit über Bord wirft. Alles traditionelle Denken, das sich an der bisher bekannten Naturwissenschaft orientiert, erscheint obsolet. Vor dem zweiten Weltkrieg entstand eine grobe Skizze von Japan mit Kreisen an der Küste nördlich von Tokio. Daneben ist ein weiterer Kreis im Landesinneren, in dem eine Art Zeiger steckt. Über Japan beugen sich drei christliche Nonnen, sie haben Kreuze auf ihrem Habit. Unten, im Süden Japans, ist ein trauriger, eingefallener Kopf. Dazu gibt es einen Text, „JaponRuidos de ruidos ensordeceráan las alturas. La bomba f.“ Im Süden Japans liegt Nagasaki, eine traditionell teilweise katholische Stadt. Der Abwurf der Atombombe ist nicht alles, was möglicherweise lange vor dem Ereignis skizziert wurde, denn dort, wo die vielen Kreise sind, liegt das zerstörte Kraftwerk von Fukushima. Der einzelne Kreis mit dem stilisierten Pfeil bezeichnet die Stadt Fukushima.

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Buddhas neue Uniform

Denken / Theologie

Im Sommer gab es eine Ausstellung mit Fotografien von Daido Moriyama im C/O Berlin. Die Fotografien sind wie Momentaufnahmen eines hässlichen Landes, einer grotesken inneren Welt und gleichzeitig eine große Meditation des Vipassana, weswegen hier ein fast zwanzig Jahre alter Artikel erneut zitiert wird:

Ostasien für die Mittelschicht: Der frische Reiniger aus Fernost.

Philosophien und Religionen sind wie Computerbetriebssysteme. Es gibt einige Oberflächen, die einander gleichen, manche Betriebssysteme erzeugen immer neue Oberflächen, andere immer identische, einige Softwaresysteme wie Linux und der Hinduismus werden als Shareware dezentral weiterentwickelt, andere, der orthodoxe Kommunismus etwa, der Lamaismus und die katholische Kirche sind zentral gelenkte Firmenprodukte — das Universum der Software, mit denen Menschen sich selbst und ihre Kultur programmieren ist riesig und weitläufig, auf fast allen Betriebssystemen läuft etwa die Applikation „good family“, oder kommt es zu dem Systemzerfall „Fundamentalismus total“. Die Spezialanwendung „cosmic orgasm“ ist nur mit dem Hinduismus kompatibel. „Der Kapitalismus liebt die Leistung“ läuft bei Protestanten und Buddhisten am besten und stürzt dagegen im Systembereich des Islam fast immer grauenhaft ab.

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Apenrots

Architektur / Fotografie

Die Dystopie des Kapitals: In Amsterdam Zuidas ist ein Bau entstanden, der wie ein überdimensioniertes Relikt aus einem düsteren Science Fiction Film wirkt.

Auf einem der teuersten Baugrundstücke der Niederlande ist neben gesichtlosen Bürokomplexen und einer Stadtautobahn samt Bahntrassen ein vielbeachtetes Bauwerk von MVRDV entworfen worden. Es ist die Vision einer Fluchtburg der Reichen, die weder Intimität noch Poesie aber die drei Türme einer Zwingburg kennt.

Apenrots, niederländisch Affenfelsen. Foto Nummer 5: © Stefan Hofmann

Die Verlorenheit der Hoffnung

Architektur / Kunst / Theologie

In der Apsis steht verloren die Statue eines Mannes, der winkend und sehr energisch auf Ankommenden zuzugehen scheint. Die Statue wirkt klein, fast verloren, steht aber mittig und zieht in dem kahlen Kirchenschiff alle Blicke auf sich. Sonst ist die Kirche weiß, man sieht ein Potpourri aus romanischen Bögen und barocken Fenstern. Aller Schmuck ist fort, der Boden ist aus hellem Kalkstein. Die Chorfester lassen durch Onyxmarmorfenster diffuses Licht herein. In den sonst absolut kahlen Seitenschiffen gibt es noch weitere barocke Plastiken und eine Kapelle mit einem Kruzifix. Alles andere ist fort, die wenigen kultischen Gegenstände sind klar und ebenfalls hellem Kalkstein.

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