Als ich ihn das erste Mal 1994 sah, ahnte ich nichts von der Vision der Apokalypse, die er in seinem Kopf trug, denn er war breitschultrig und beunruhigend muskulös. Er hatte eine Glatze und sein junges, gewinnendes Lächeln zeigte sauber geordnete Zähne, die vor Gesundheit nur so zu strotzen schienen. Die Hüften waren schmal. Auf den äußerst üppigen nackten Armen spiegelte sich das Selbstvertrauen eines begehrten Mannes.
WeiterlesenDas Kloster der Moderne
Fundazione Prada, torre
Torre / Damien Hirst
Torre / Ausblick
Torre, Erdgeschoss
Fondazione Prada
Fondazione Prada
Umgebung
Torre / Kontemplation
In Mailands gesichtslosen Randbezirken hat die Fondazione Prada in einem aufgelassenem Industriebau ihre Ausstellungsräume. Der Gebäudekomplex wurde von Rem Koolhaas überarbeitet, der Turm (torre) ist ein Neubau. Anders als in den Kreuzgängen der Klöster, in deren Abgeschiedenheit angesichts der überaus gewalttätigen Welt des Mittelalters Erfahrung des Friedens gesucht wurde, wird hier eine vielschichtige Kontemplation der Moderne offeriert, da die Kunstwerke mit dem Außen durch die offene Architektur in Beziehung stehen.
(Foto 8: Copyright Stefan Hofmann)
Fabriktagebuch
Das Fabriktagebuch (La condition ouvrière) von Simone Weil ist eines der eigenartigsten und sperrigsten Werke des 20.Jahrhunderts. Aus einer großbürgerlichen, kosmopolitischen jüdischen Familie stammend stand Simone Weil zuerst dem Kommunismus nahe, wurde Lehrerin, arbeitete für ein Jahr als Experiment in verschiedenen Fabriken, engagierte sich danach in dem spanischen Bürgerkrieg, um dann zuletzt, angewidert von der Brutalität der Anarchisten, sich der Religion anzunähern. Im Zweiten Weltkrieg floh sie nach London und arbeitete vorübergehend für de Gaulle. Mit nur 34 Jahren starb sie an Tuberkulose: „Das ist es, was wir Gott geben, das heißt: zerstören sollen. Es gibt durchaus keinen anderen freien Akt, der uns erlaubt wäre, außer der Zerstörung des Ich.“ (1)
WeiterlesenTechnoide Synthesen
Olympiapark
BMW Welt
Fernsehturm
Werk 4
Werk 12
Olympiapark
Die grandiose Architektur des Olympiageländes von 1972 und die imponierende Fassade der BMW Welt sind Gestalt gewordene Hoffnung, man könne das Lebendige mit dem Technischem versöhnen und eine Synthese schaffen zwischen zwei Welten, die so nicht zueinander passen. Vielleicht ist es auch eine Illusion, da die Perfektion des Technischen dem Lebendigen wenig Raum läßt, aber gleichzeitig dessen emotionale Formen übernimmt. Das Werksviertel, das jetzt im Bau ist, möchte die Subkultur, die kurzfristig dort ansässig war, integrieren und ihr eine neue Heimat bieten, in der sie mit der geplanten neuen Konzerthalle einen Biotop des Lebendigen schafft. Ob dieser Versuch, das Lebendige nachzuahmen, gelingen wird, muss offen bleiben, vielleicht wird es auch, wie die BMW Welt, eine Hülle, die Lebendiges nachahmt um das Sterile zu verbergen.
Kirchlicher Antisemitismus
„Es ist unerträglich und nicht hinnehmbar, dass Juden und Jüdinnen, Synagogen und jüdische Einrichtungen bedroht, verunglimpft und angegriffen werden. Antisemitismus ist ein Verbrechen. Wir werden uns überall entgegen stellen, wo Antisemitismus auf den Straßen in unserem Land laut wird.
Unerträglich ist die Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden aus unserer Gesellschaft (…) Wir zeigen Gesicht und versichern den jüdischen Gemeinden: Wir stehen an ihrer Seite. Wer euch angreift, greift auch uns an. Wir stehen auf gegen Antisemitismus.“
Bescheidenheit guter Form
In der Nähe von Landshut liegt das Anwesen von Fritz König. Dort, in Ganselberg, waren nicht nur sein Wohnsitz und sein Gestüt, sondern auch sein Atelier. Auch wenn das Atelier scheinbar wie ein historisches Gebäude aussieht, sieht man doch bei genauerem Hinsehen Betonfundamente, skulpturale Plastizität der Türbeschläge und strengen Formwillen in den eisernen Bändern, die die Türflügel halten.
WeiterlesenPornografie des Barock
Auszug aus einem aktuellem Schreibprojekt. Hier geht es um die feinen Regeln der Darstellung, durch die Kulturen das Territorium der Prüderie abstecken. Die fragliche Plastik allerdings sprengt alle Grenzen zugunsten der Pornografie, wenn man die feinen Unterschiede in der Darstellung gewisser Organe als Erklärung liest, wie die Plastik zu deuten sei. Der weitere Text, der eine mögliche Lesart sehen will, ist, wie die Plastik, womöglich nicht jugendfrei:
WeiterlesenInseln der ästhetischen Hoffnung
Wenn man durch die trostlose Münchner Schotterebene nach Poing fährt, muß man eine von Autobahnen, Schnellstrassen, Gewerbeparks und gesichtslosem Siedlungsbrei völlig zerstörte Landschaft durchqueren. Die Plünderung der Erde, die dazu dient dem Menschen Dinge zu geben, zieht am Autofenster vorbei, wenn man Glück hat, sieht man den fernen Streif der Alpen, sonst nur eine Verwüstung, die mit gerne mit dem Euphemismen des Landschaftsverbrauchs und der Flächenversiegelung umschrieben wird.
Strassenseitig
Lichteinfall
Innenraum
Nagelfluh
Kacheln im Relief
Innenraum
Weiherseitig
Andachtsraum
Ränder der Neuzeit, Teil 2
1969 nimmt Bernward Vesper in Schwabing mit einem Reisebegleiter, Burton, einen Trip, der fast vierundzwanzig Stunden dauern wird und später die Grundlage für Vespers Autobiographie, Die Reise, dienen wird. Fast vierundzwanzig Stunden irren Vesper und Burton durch München, durchqueren den Hofgarten, gehen in den Englischen Garten, die Dinge scheinen sich zu verschieben, eine andere, scheinbar intensivere Wirklichkeit könnte sich auftun, die Welt könnte weit und schön werden, aber in Wahrheit werden Vesper und Burton feststellen, dass sie in der WG nur halbwillkommen sind, was auf Trip besonders unentspannt ist, und Bernward Vesper wird danach seinen Text radikal neu ordnen wollen. Joachim Lehmann schrieb 1992 in DER ZEIT, Vesper habe sich in einer unmöglichen Situation empfunden, herum das böse, kleinbürgerliche Deutschland voller Vegetables, wie Vesper seine Mitbürger nennt (auch Burton, vermutet Vesper, wird als amerikanischer Jude vom schicken Loft in Manhattan träumen), und der verlorene, weil unsinnige Kampf der RAF, an dem Vesper nicht teilnehmen wollte — so, laut Lehmann, ist der Ausflug in romantische Bilder ein Signum der seit dem Sturm und Drang schauerlich scheiternden deutschen Linken. Nimmt Bernward Vesper die Erlebnisse als Signum für eine tiefere, poetischere Existenz, die sich auftun könnte, obwohl er die Studentenbewegung als gescheitert ansieht? Oder ist der Trip Auslöser für eine radikale Nabelschau, die schlichtweg als Schlüsseltext für eine ganze radikale Generation gilt? Wenn ja, dann war es eine Reise, die zu einer gnadenlosen Selbsterkenntnis führte, ohne dass es irgendeines tröstenden Momentes gegeben hätte. Es wird ein Horrortrip, in dem Dantes Figuren der Hölle von real existierenden Figuren der BRD übernommen werden, die in gütefreier und humorloser Manier durch die Biografie wandeln. Warum wird eine triste Badewanne in einem Text Ausgang für eine illusionslose Sicht auf den eigenen Werdegang als solchen?

Ränder der Neuzeit, Teil 1
1976 hungerte sich einem Siedlungshaus in Franken eine junge Frau mit 23 Jahren zu Tode,
nachdem sie 1973 erstmals durch Klopfen im Zimmer und Stimmen aus der Hölle beunruhigt wurde, es war das Jahr, in dem der Film The Exorcist von William Friedkin in die Kinos kam, der eine fiktive Teufelsaustreibung beschreibt. Anneliese Michel war darauf wegen vermuteter Epilepsie in Behandlung, seit ihrem Zeit als Teenager sah sie außerdem dämonische Gesichter, Fratzen, wie sie sie nannte, sie war streng katholisch aufgewachsen, Tanzen war ihr verboten, Fotos des Elternhauses lassen auf eine enge, karge religiöse Atmosphäre schließen.
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