Technoide Synthesen

Architektur / Fotografie

Die grandiose Architektur des Olympiageländes von 1972 und die imponierende Fassade der BMW Welt sind Gestalt gewordene Hoffnung, man könne das Lebendige mit dem Technischem versöhnen und eine Synthese schaffen zwischen zwei Welten, die so nicht zueinander passen. Vielleicht ist es auch eine Illusion, da die Perfektion des Technischen dem Lebendigen wenig Raum läßt, aber gleichzeitig dessen emotionale Formen übernimmt. Das Werksviertel, das jetzt im Bau ist, möchte die Subkultur, die kurzfristig dort ansässig war, integrieren und ihr eine neue Heimat bieten, in der sie mit der geplanten neuen Konzerthalle einen Biotop des Lebendigen schafft. Ob dieser Versuch, das Lebendige nachzuahmen, gelingen wird, muss offen bleiben, vielleicht wird es auch, wie die BMW Welt, eine Hülle, die Lebendiges nachahmt um das Sterile zu verbergen.

Kirchlicher Antisemitismus

Geschichte / Theologie

„Es ist unerträglich und nicht hinnehmbar, dass Juden und Jüdinnen, Synagogen und jüdische Einrichtungen bedroht, verunglimpft und angegriffen werden. Antisemitismus ist ein Verbrechen. Wir werden uns überall entgegen stellen, wo Antisemitismus auf den Straßen in unserem Land laut wird.
Unerträglich ist die Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden aus unserer Gesellschaft (…) Wir zeigen Gesicht und versichern den jüdischen Gemeinden: Wir stehen an ihrer Seite. Wer euch angreift, greift auch uns an. Wir stehen auf gegen Antisemitismus.“

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Bescheidenheit guter Form

Architektur / Kunst

In der Nähe von Landshut liegt das Anwesen von Fritz König. Dort, in Ganselberg, waren nicht nur sein Wohnsitz und sein Gestüt, sondern auch sein Atelier. Auch wenn das Atelier scheinbar wie ein historisches Gebäude aussieht, sieht man doch bei genauerem Hinsehen Betonfundamente, skulpturale Plastizität der Türbeschläge und strengen Formwillen in den eisernen Bändern, die die Türflügel halten.

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Pornografie des Barock

Berlin / Kunst

Auszug aus einem aktuellem Schreibprojekt. Hier geht es um die feinen Regeln der Darstellung, durch die Kulturen das Territorium der Prüderie abstecken. Die fragliche Plastik allerdings sprengt alle Grenzen zugunsten der Pornografie, wenn man die feinen Unterschiede in der Darstellung gewisser Organe als Erklärung liest, wie die Plastik zu deuten sei. Der weitere Text, der eine mögliche Lesart sehen will, ist, wie die Plastik, womöglich nicht jugendfrei:

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Inseln der ästhetischen Hoffnung

Architektur / Theologie

Wenn man durch die trostlose Münchner Schotterebene nach Poing fährt, muß man eine von Autobahnen, Schnellstrassen, Gewerbeparks und gesichtslosem Siedlungsbrei völlig zerstörte Landschaft durchqueren. Die Plünderung der Erde, die dazu dient dem Menschen Dinge zu geben, zieht am Autofenster vorbei, wenn man Glück hat, sieht man den fernen Streif der Alpen, sonst nur eine Verwüstung, die mit gerne mit dem Euphemismen des Landschaftsverbrauchs und der Flächenversiegelung umschrieben wird.

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Ränder der Neuzeit, Teil 2

Geschichte / Theologie

1969 nimmt Bernward Vesper in Schwabing mit einem Reisebegleiter, Burton, einen Trip, der fast vierundzwanzig Stunden dauern wird und später die Grundlage für Vespers Autobiographie, Die Reise, dienen wird. Fast vierundzwanzig Stunden irren Vesper und Burton durch München, durchqueren den Hofgarten und gehen in den Englischen Garten. Die Dinge scheinen sich zu verschieben, eine andere, scheinbar intensivere Wirklichkeit könnte sich auftun, die Welt könnte weit und schön werden, aber in Wahrheit werden Vesper und Burton feststellen, dass sie in der WG nur halbwillkommen sind, was auf Trip besonders unentspannt ist. Bernward Vesper wird danach seinen Text radikal neu ordnen wollen. Joachim Lehmann schrieb 1992 in DER ZEIT, Vesper habe sich in einer unmöglichen Situation empfunden. Um ihn das böse, kleinbürgerliche Deutschland voller Vegetables, wie Vesper seine Mitbürger nennt (auch Burton, vermutet Vesper, wird als amerikanischer Jude vom schicken Loft in Manhattan träumen) und der verlorene, weil unsinnige Kampf der RAF, an dem Vesper nicht teilnehmen wollte — so, laut Lehmann, ist der Ausflug in romantische Bilder ein Signum der seit dem Sturm und Drang schauerlich scheiternden deutschen Linken. Nimmt Bernward Vesper die Erlebnisse als Signum für eine tiefere, poetischere Existenz, die sich auftun könnte, obwohl er die Studentenbewegung als gescheitert ansieht? Oder ist der Trip Auslöser für eine radikale Nabelschau, die schlichtweg als Schlüsseltext für eine ganze radikale Generation gilt? Wenn ja, dann war es eine Reise, die zu einer gnadenlosen Selbsterkenntnis führte, ohne dass es irgendeines tröstenden Momentes gegeben hätte. Es wird ein Horrortrip, in dem Dantes Figuren der Hölle von real existierenden Figuren der BRD übernommen werden, die in gütefreier und humorloser Manier durch die Biografie wandeln. Warum wird eine triste Badewanne in einem Text Ausgang für eine illusionslose Sicht auf den eigenen Werdegang als solchen?

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Ränder der Neuzeit, Teil 1

Geschichte / Theologie

1976 hungerte sich einem Siedlungshaus in Franken eine junge Frau mit 23 Jahren zu Tode,

nachdem sie 1973 erstmals durch Klopfen im Zimmer und Stimmen aus der Hölle beunruhigt wurde. Es war das Jahr, in dem der Film The Exorcist von William Friedkin in die Kinos kam, der eine fiktive Teufelsaustreibung beschreibt. Anneliese Michel war darauf wegen vermuteter Epilepsie in Behandlung, denn seit ihrem Zeit als Teenager sah sie außerdem dämonische Gesichter, Fratzen, wie sie sie nannte. Sie war streng katholisch aufgewachsen, Tanzen war ihr verboten, Fotos des Elternhauses lassen auf eine enge, karge religiöse Atmosphäre schließen.

Als sie auf einer Wallfahrt zu einem kirchlich nicht anerkannten Wallfahrtsort geweihten Gegenständen auswich, wurde ein langsamer Prozess in Gang gesetzt. Konsultationen mit Geistlichen, namhaft mit Adolf Rodewyk und Ernst Alt, folgten. Ein Probeexorzismus wurde gebetet, bei dem sie den Rosenkranz zerriß. Anneliese Michel wurde zusehens wirr, Ernst Alt, ein Gemeindepfarrer, riet zur Psychiatrie. Die Eltern und Anneliese Michel lehnten ab. Am 16. September 1975 ordnete Bischof Stangl den großen Exorzismus nach dem Rituale Romanum an, also die Teufelsaustreibung, die bei von Dämonen besessenen angewendet wird. Arnold Renz, ein Pater, und Ernst Alt als Beistand wurden mit der Durchführung beauftragt. Wenige erhaltene Videos zeigen Szenen, die an The Exorcist erinnern, Anneliese Michels Stimme verkehrt phasenweise sich in ein Fauchen und Kreischen, das unheimlicher und böser klingt als das jeder Geisterbahn, die je gebaut wurde. Luzifer, Nero, Adolf Hitler, Kain and Judas Iskariot wollten erschienen sein, die Auswahl der Dämonen erscheint wenig phantasievoll, wäre da nicht ein Pfarrer Valentin Fleischmann gewesen, der wirklich 1572 zum Priester geweiht worden war und wenig später wegen Mordversuchs, Alkoholmissbrauchs und Aggressivität laisiert wurde. Woher wusste Anneliese Michel von ihm? Die Stimmen auf den Tonaufnahmen sind hämisch, sie sind stolz die Exorzisten zu foppen und erklären, sie, die Stimmen, hätten es in ihrer Macht gehabt, Anneliese Michels Gesundheit Stück für Stück zu ruinieren. Inzwischen machte Anneliese Michel Hunderte Kniebeugen am Tag, magerte zum Skelett ab und biß in die Wand. Sie wurde jedoch immer wieder ins Kreuzverhör genommen, damit die Dämonen von ihr ließen. Am 1. Juli 1976 verstarb sie, 31 Kilo schwer bei 1 Meter 66 Größe. Warum wurde sie nie eingewiesen und zwangsweise ernährt?

Die Eltern als auch Renz und Alt wurden am 21. April 1978 jeweils zu sechsmonatigen Haftstrafen, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt. Die Gesetzeslage war eindeutig, eine Zwangseinweisung war nach bairischen Gesetzen juristisch legitim und geboten. Nur mag der 1974 in Wittlich verhungerte Holger Meins daran erinnern, dass gegen den Willen angeordnete Zwangsernährung nicht unbedingt zielführend ist.

Mit Anneliese Michel beendete die Deutsche Bischofskonferenz alle Exorzismen, der Fall Anneliese Michel bildet auch eine Scheidelinie in Deutschland zwischen denen, die jetzt in einer „modernen“ Kirche leben wollen und jenen, die eine vorkonziliare Kirche ersehnen und insgeheim zur Piusbruderschaft von Marcel Lefebvre tendieren. Auch die Deutungen des Geschehens klaffen auseinander, es werden Schizophrenie und durch familiäre Konflikte gestörte Persönlichkeit gegen Besessenheit angeführt. Nur wer könnte nicht einwenden, dass Epilepsie oder Schizophrenie ein Einfallstor für allerlei mögliche paranormale Phänomene böten? Die angeblichen Aussagen der Dämonen berühren oft die Scheidelinien zwischen vorkonziliarer Kirche und heutigem Katholizismus, sodass auch hier, bei den satanischen Botschaften, Vorsicht geboten ist. Eine veränderte Liturgie und eine Revision im Verhältnis zwischen Kirche und Judentum wird wohl nicht das Schlimmste an Ausgeburt der Hölle sein, es sei denn man sähe dies wie Levebre als Symbol für eine Verflachung und Verrat des überkommenen Auftrages. 

1981 erschien The Exorcism of Anneliese Michel von Felicitas Goodman, einer amerikanischen Lingustin und Anthropologin, die sich mit veränderten Bewusstseinszuständen befasst hatte. Ihre Arbeit gilt allerdings nicht als streng wissenschaftlich, Frau Goodman vermutet tatsächlich andere Wesen, die sich in Anneliese Michel manifestierten, ihr Buch führte zu dem Film The Exorcism of Emily Rose, in Deutschland wurde die Geschichte von Anneliese Michel mit Requiem originalgetreu und einfühlsam verfilmt. Richard Gallagher, der als Psychiater Exorzisten in der katholischen Kirche in den USA betreut, schrieb 2016 in der Washington Post, er erkenne als Psychiater seelische Krankheiten, aber es gäbe bestimmte extrem eigenartige Fälle, bei denen die Stimmen Dinge wüßten, die die möglicherweise besessene Person niemals wissen könnte, oder gar, die Stimmen sprächen eine Sprache, die die so nicht mehr bekannt sei. Was dann? Fast alle Kulturen glauben an Geister, schreibt Gallagher, und fast alle könnten Belege für ihre Anwesenheit liefern. Könne man dann als Gläubiger den Leidenden die Hilfe, den Exorzismus, verweigern?

Es gibt immer noch Kulturen, in denen Geister alltäglich sind. 1971 reiste Hubert Fichte nach Brasilien, genauer gesagt nach Salvador die Bahia, auch um die Praxis des Candomblé zu studieren. In dieser Religion der afrikanisch stämmigen Brasilianer versuchen Probanden bei Versammlungen mit schnellen Beats in Trance zu geraten und sich von Geistern oder wem auch immer in Besitz nehmen zu lassen, damit die Geister sich den Lebenden mitteilen zu können. „Doch mir scheint, die Unterdrücker Brasiliens haben längst erkannt, daß sie keinen besseren Verbündeten haben als die Priesterschaft der afrobrasilianischen Mischkulte, die nicht nur jeden Funken kritischen Bewußtseins löscht, sondern menschliches Bewußtsein überhaupt zu brechen imstande ist.“ schrieb Hubert Fichte in Ein Geschwür bedeckt das Land. Furcht und Elend der brasilianischen Republik. 

Mehr als vierzig Jahre nach seinem Film The Exorzist  hat William Friedkin Pater Gabriele Amorth kurz vor dessen Tode besucht und selbst einen Exorzismus gesehen und gefilmt. Die Welt und der Vatikan seien längst in der Hand des Satans, sagte Pater Amorth. Der Bericht von William Friedkin, den er in der Vanity Fair veröffentlichte, schwankte zwischen barem Erstaunen und Zweifel, was auch die Reaktionen der von ihm konsultierten Spezialisten, die die Filmaufnahmen begutachten, bestätigten. Bis auf wenige Details glich die Schilderung des Exorzismusses denen, die von Anneliese Michel bekannt sind, auch mussten die Exorzissmusse ebenfalls hier immer wieder wiederholt werden und Pater Amorth starb, ehe die Frau als befreit angesehen werden konnte.

Im Himmel, sagte Pater Amorth, werde er den Teufel noch härter bekämpfen. Für ihn war die Welt nicht jene Komfortzone, in der man ein möglichst schönes Leben führen sollte, sondern die Kampfarena, in der die Divisionen Satans und die Gottes den Kampf um die Seelen ausfechten, wobei die Divisionen Satans in ihrer Verzweiflung wissen, dass sie verloren haben, weil sie verdammt sind und neue Verdammte für ihren erbarmungslos hungrigen Schmerz brauchen. In diesem Blickwinkel wäre die Moderne eine Falle, weil die Angst vor der Verdammnis verschwunden sei. Auch seien Divisionen des Teufels längst überall eingedrungen und die Arglosen oder die Geblendeten seien die Verlierer, eben jene, die von der scheinbaren Diesseitigkeit der Moderne verführt wurden.

Das Geheimnis der Mönche

Theologie

Wir blickten auf die Saône, die breit und träge an der mittelalterlichen Stadt vorbei floß. Auf dem Strom lagen Yachten an Stegen vertäut, offenbar mieden die Skipper die gefährliche herbstliche Fahrt durch die Biskaya um ins Mittelmeer zu kommen. Der Bruder, mit dem ich den Ausflug machte, schaute auf die Schiffe, wir tranken Kaffee und aßen Kuchen, den wir mitgenommen hatten. Auf einmal fragte er mich, welche der Yachten wohl seegängig sei, er wusste, ich hatte früher Wochen auf hoher See verbracht. Ich antwortete, das hinge von Ballast und Unterwasserschiff ab, aber die Antwort lief ins Leere. Ich spürte die leise feine Sehnsucht des Bruders, obwohl er in Spanien und Südamerika gelebt hatte, aber ich redete nicht weiter. Es war alles gesagt, vor uns glitzerte die Saône im Herbstlicht, ich spürte die unausgesprochene Sehnsucht und Verletzlichkeit meines Begleiters, obwohl dessen breite Schultern so wirkten, als gäbe es kein Hindernis für sie.

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Die Schönheit der Medizin

Architektur / Berlin / Fotografie

2 Bauten der Charité, deren Abriss geplant ist und die in ihrer völlig unterschiedlichen Gestaltung Zeugnisse hervorragenden und mutigen skulpturalen Umgangs mit Beton sind:

Zentrale Tierversuchslaboratorien (1971–80, heute: Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin, FEM), Architekten Gerd und Magdalena Hänska. Ein herausragendes Beispiel des Brutalismus in Deutschland.

Das ab 1966 geplante und bis 1974 gebaute Institut für Hygiene und Mikrobiologie (heute: Institut für Hygiene und Umweltmedizin). Architekten Fehling+Gogel.
Bis heute ist es praktisch im Originalzustand – eine Zeitkapsel seiner Bauzeit.