Ränder der Neuzeit, Teil 3

Denken / Geschichte

Ende 1938 fanden Fritz Straßmann und Otto Hahn heraus, dass ihnen die Kernspaltung geglückt war. Einen Monat vorher sollte Orson Welles mit einer Radiosendung, die die Landung feindlicher Außerirdischer, also die späteren UFOs, zum Thema hatte, weltberühmt werden. Der Roman The War of The Worlds war 1896 begonnen worden, in jenem Jahr, als Antoine Henri Becquerel die Radioaktivität entdeckt hatte. Die Linien, die damals noch weit auseinander zu sein schienen, verbanden sich aber später. Als die ersten Atombomben in Testreihen gezündet wurden, erschienen, wie die Journalistin Leslie Kean und der Filmemacher James Fox vermuten, tatsächlich vermehrt unbekannte Flugobjekte.

Erst waren 1947 diskusförmige, leuchtende Objekte am Himmel. Sie wurden fotografiert, Flying Saucers genannt und katapultierten sich sofort in die Sphäre der Medien, des Films und der Mythen. Später soll eines der Objekte 1947 in Roswell, nahe dem damals einzigen Stützpunkt für strategische Atombomber, abgestürzt sein. Hastig barg Militär alle Trümmerteile. Laut der ersten offiziellen Version, die später zugunsten eines geheimen Ballonprojektes revidiert wurde, stammten sie von einem Wetterballon. Berichte ranken sich um angebliche Zeugen, tote Aliens, auch Albert Einstein soll vor Ort gewesen sein. Der zu dieser Zeit amtierende Verteidigungsminister der USA stürzte sich ein Jahr später aus dem Fenster der psychiatrischen Klinik, in die er wegen Depressionen überwiesen worden war. Möglicherweise wollte er sich auch erhängen, aber das ist niemals genauer geklärt worden.

Was da angeblich herumflog, das wurde schnell klar, konnte nicht von den Sowjets stammen. Zu sehr widersprachen die fantastischen Flugeigenschaften den technologischen Fähigkeiten jener Jahre. In den USA wurde 1951 die Air Force im Project Blue Book mit der Erforschung der Phänomene betraut. Was der Forschungsbericht des Blue Book 19 Jahre später aber enthielt, waren Erklärungen wie Sumpfgas, Irrlichter, Tests und was auch immer. „The entire Blue Book operation was a foul-up based on the categorical premise that the incredible things reported could not possibly have any basis in fact,“ schrieb Dr. J. Allen Hynek, der als Astronom dem Projekt Blue Book zugeordnet war, später. Offiziell suchte man im All seit 1960 nach Radiosignalen außerirdischer Zivilisationen. Aber dem, was herumflog, wissenschaftlich nachzugehen hätte angesichts der Relativitätstheorie, die solche Reisen als als unmöglich erklärt hätte, als Irrsinn und Phantasterei gegolten.

Erste Blockbuster nahmen sich des Themas an, später gab es in Kinderzimmern Aliens mit Kulleraugen, böse Raumschiffe, die Städte schneller ausradierten als jemals die Royal Air Force, und T-Shirts mit Alienköpfen. Seit 1947 hatten sich Sichtungen, Phänomene, Pulp, haarsträubende öffentliche Erklärungen, physikalische Bedenken und Pop zu einem Kneul verdichtet, den die Meisten aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit zu vermeiden versuchten. In diesem Mêlée sah sich die Moderne in Wahrheit ihre eigenen Mythen und ihr beschränktes Wissen an. Einerseits entstand ein neues Reich des Phantastischen, das wie Gnome, Dämonen und Hexen Zelluloid bevölkerte und anderseits ein fast inquisitorisches Beharren auf dessen Unsinn, das fast totalitäre Züge annahm.

Angeblich wußten die Militärs seit langem mehr. Öffentlich bezeugten ehemalige Offiziere, mehrfach UFOs über Raketensilos schweben gesehen zu haben, wobei mysteriöserweise mehrfach Atomraketen zeitweilig deaktiviert wurden. Auch der iranische Kampfpilot, der 1973 ein UFO über Teheran abschießen sollte, konnte nicht auf die Elektronik seines Jets zurückgreifen. 1980 landete bei Rendlesham in England einige Tage lang neben einem amerikanischen Stützpunkt, in dem Nuklearwaffen stationiert waren, irgendetwas im Wald. Britisches Militär, Polizei und US-Soldaten sahen immer wieder aus nächster Nähe ein gelandetes mysteriöses leuchtendes Objekt, das aber immer wieder davonflog. Man fand später Eindrücke im Boden und erhöhte Radioaktivität. Die Untersuchung aber versandete, vielleicht auch wegen der unklaren Kompetenzen der jeweiligen staatlichen Akteure. Man hätte den Vorfall als wohl dokumentiert klassifizieren können. 1979 und 1980 kam es in Belgien zu massenhaften Sichtungen, das belgische Militär veröffentlichte Radardaten aufgestiegener Kampfflugzeuge und der Bodenstationen. Ein offizieller Bericht, bestätigt von hohen Militärs und Tausenden, die die Objekte über Belgien hatten fliegen sehen, versank wie die Affäre Dutroux im Sumpf der öffentlichen Wahrnehmung. Von Scherzkeksen, die Schabernack trieben bis zu Fehlern in der Radarauswertung reichen Erklärungen.

Vielleicht war diese Dichotomie Signum der Nachkriegszeit. Unerklärliche Phänomene, staatliches Lavieren und Vertuschen, Verschwörungstheorien und das Geraune über einen geheimen Apparat, der mehr wisse als alle anderen, bildeten eine neue, teilweise bissige Erzählung über den Deep State. Bei Rechten paarte sich das mit blonden Recken, die 1945 schon erste Flugscheiben startklar gehabt hätten. Andere, Klügere beharrten nur auf den puren Berichten des Unerklärlichen.

2017 wurde Präsident Obama von Jimmy Kimmel im Rahmen einer Talkshow gefragt, ob er etwas über UFOs wisse. „The aliens won’t let it happen. You’d reveal all their secrets, and they exercise strict control over us.“ antwortete Obama scherzhaft. Da waren, wie die New York Times später schrieb, schon seit Jahren merkwürdige Flugobjekte auf den Radarschirmen der US.Navy erschienen. Die Radardaten und Filmaufnahmen der Objekte, inzwischen UAP genannt, wurden inzwischen von der US.Navy offiziell als authentisch bestätigt. 2021 bestätigte Obama alles in The Late Show: „What is true, and I’m actually being serious here, is that there are, there’s footage and records of objects in the skies, that we don’t know exactly what they are. We can’t explain how they moved, their trajectory. They did not have an easily explainable pattern. And so, you know, I think that people still take seriously trying to investigate and figure out what that is.“

Die Nachkriegsära geht zu Ende. Die Hybris der Neuzeit, sofern sie den Menschen auf dieser Erde als alleinigen Träger der Intelligenz sah, auch. Scheinbare Wirklichkeit entpuppt sich als eine Schale aus Desinformation und Fiktion, die nicht nur hier die Wahrnehmung verschleiert. Das gesamte Gebräu, das unser Denken formen soll, liegt, falls man sehen will, offen vor Augen.

Was aber wirklich ist, ist uns verborgen.

Literatur & Film:
UFOs Generals, Pilots and Government Officials Go On the Record, Leslie Kean, das Zitat von Dr. J. Allen Hynek ist dem Buch entnommen.
The Phenomenon, Regisseur James Fox, 2020
Foto: 24.12.2021. Kein UAP oder UFO wurde wegretuschiert.