Durch die Tür

Fiction

Du gingst an der Tür vorbei und ich wollte was sagen, aber du hörtest nicht. Du bist in den Hausflur zum Klo gegangen und hast nicht reagiert. Eigentlich war es dringend gewesen, aber ich weiß nicht, was ich dir sagen wollte. 

Da war nur ein Moment, der kurz aufflackerte. Ich weiß es wirklich nicht. Wirklich. Jetzt bin ich in der Küche und blicke mich um. Ich weiss, vor deinem ersten Kaffee und der ersten Zigarette läufst du wie ein halb sediertes Nilpferd. Irgendwas ist heute anders, aber ich habe es einfach vergessen. Es ist Nebel draußen, ein fahler Morgendunst. Es ist deine Wohnung und sie ist mir so vertraut wie mein eigenes Hemd. Obwohl du die Miete zahlst, wohne ich doch hier fast wie du. Die Fenster sind zu, im Hof hallen hinter Fensterglas Schritte. Der Knall von Stöckelschuhen auf Beton durchschneidet das Glas. Manchmal habe ich immer morgens Kaffee gemacht, wenn du müde warst und zwischen Traum und Wachen hingst. Auf einmal werde ich wieder unruhig, ich bin in deiner Küche und schleiche umher. Was löst der Hall von Schritten einer Frau, die jetzt in ihr Büro und einen neuen Arbeitstag geht, in mir aus? Ist es das fehlende Geräusch meiner Schritte? In der Spüle stapeln sich Teller und Becher, daneben ist die gläserne Kaffeekanne mit dem Filtersieb aus Stahldraht, was man herunterdrücken kann und was den Kaffeesatz am Boden des Glaskolbens zusammenpresst. Ich weiß nicht warum ich diese Kanne so betrachte. Weil ich dich so oft an dem Herd habe stehen sehen und deine verschossenen Wollpullover vor mir sehe, wenn du mir den Rücken zugedreht hast. Ich denke daran, dass ich mich immer etwas geekelt habe, weil du nie die Kanne richtig ausspülst und sie immer etwas schmierig und klebrig ist. Ich möchte sie jetzt in die Hand nehmen. Dann erschrecke ich, weil ich die Kanne gar nicht mehr spüre. Das Geschirr ist aufgestapelt. Könnten meine Gedanken noch den Geschirrhaufen gleich ins Rutschen bringen und klirrend in Scherben gehen lassen? Es ist nicht mehr fassbar, eine klamme Empfindung, die mich lausig allein lässt wie die Lautlosigkeit meiner Schritte. Träume ich nur? Auf einmal stehe ich hier und sehe dieses schlecht gespülte Geschirr wie unwirklich hingetupft. Auch die weiße Wand ist mit bräunlich gelben Flecken übersät. Du hattest die Küche mit Raufaser tapeziert. Ich sehe dich noch arbeiten, aber dein Körper, der dies alles verrichtete, den habe ich kaum noch vor meinen Augen. Auf einmal sage ich mir dass mich diese weiße Farbe nichts mehr angeht. Ich weiß es wieder, warum ich hier bin. Das Weiß sieht auf einmal so banal aus. Deswegen haben mich die Schritte der Frau so beunruhigt. Deswegen. Weil sie einfach gedankenlos durch den Morgennebel in einen neuen Tag spazierte und wahrscheinlich an den Geruch von frischem Filterkaffee in ihrem Büro dachte. Keine alltäglichen Wege sind heute für uns.

Ich muss mich konzentrieren. Wenn ich in den Rasierspiegel blicken würde könnte ich mich noch sehen? Ich wage es nicht. Ich darf auch gar nicht mehr daran denken, es wird nur noch dieser schwebende Moment jetzt sein. Ich möchte dich noch einmal sehen. Ich muss mich konzentrieren und an dich denken. Ich weiß, gleich wirst du in die Küche kommen, gleich. Wenn ich die Augen schließen würde, wäre ich schon fort. Ich muss mich konzentrieren, das Weiß deiner Küche kommt mir jetzt seltsam vor. Es sagt mir, dass ich nicht mehr hierher gehöre. Ich sehe deinen Zahnputzbecher auf der Spüle stehen. Eine gelbe Zahnbürste in einem rotem Plastikbecher mit weißen Punkten. Dein Rasierpinsel. Für Dich wird es wieder anfangs noch einer der normalen Tage sein. Ich werde es dir nicht sagen können. Du wirst dich rasieren und dir die Zähne putzen. Ich weiß, dass ich so lange nicht mehr bleiben kann. Das weißt du nicht. Ich werde allmählich zur Wohnungstür gehen müssen. Auf dem Tisch steht eine Uhr. Ein Quarzwecker mit einem braunen Plastikgehäuse. Der Wecker ist stehen geblieben. 8.14Uhr. Daneben dein Aschenbecher. Sie riechen nicht, die Kippen. Wenn ich mich an den Geruch erinnern wollte, weiß ich, dass zwischen mir und dir eine Wand aus Glas ist. Wie sollte ich denn etwas riechen? 8.14Uhr. Das war die Zeit, sie werden es dir sagen, wenn sie dich besuchen kommen. Ich kann dich nicht mehr in der Küche erwarten, nur noch im Flur, ich muss zur Schwelle gehen. Du wirst nur den Wecker finden und nicht verstehen. Wenn ich es dir doch sagen könnte. Die Küchentür steht offen. Ich schiebe mich in den Flur, ich weiß es immer mehr, ich werde gehen. Die Wohnungstür ist angelehnt. Ja. Angelehnt. Du kommst. Schlaftrunken mit gesenktem Kopf. Auf einmal blickst du auf, mit verwurstelten Haar und starrst fassungslos auf die Tür, als erinnere dic… – Du, Du – dein Gesicht fällt in Unglauben auseinander, als wärest du noch im Schlaf und wissest nicht ob du träumst – ich werde jetzt – da kratzt du dich an dem Kopf, hältst inne, stehst da im Unterhemd, deine Augen sind aufgerissen, so als hörtest du was, irgendwas, aber es ist nichts, was an dein Trommelfell klopft, nichts, wirklich gar nichts, nur deine Augen sind aufgerissen, es ist doch nur die Wand, die du siehst, der halbdunkle, weiß gestrichene Flur und wenn du jetzt die Tür langsam ins Schloss fallen lässt, mit verschrockenen, aufgerissenen Augen, die schauen aber nicht sehen, so wirst du nicht wissen, dass ich, wenn ich jetzt gehe, nicht die Tür zu öffnen brauche.