Es war Samstag

Berlin / Denken / Theologie

“Was hältst Du von dem IS?”

Es war Anfang Dezember und Samstag Nacht, die U-Bahn fuhr nach Neukölln, um mich herum saß eine Gruppe junge Männer. Sie redeten miteinander und scherzten. Sie hatten dunklere Haut und Drei-Tage Bärte und die Figur von Leuten, die regelmäßig Sport machen oder mehrmals wöchentlich ins Fitnesstudio gehen. Vermutlich waren sie türkisch oder arabisch stämmig, sie redeten auf Deutsch, ich hörte nicht hin, da ich noch meinen Gedanken nachhängen wollte. Sie waren offenbar Freunde und neckten sich. Der Zug war nur halbvoll, es war noch vor Mitternacht, die jugendlichen Partygäste, die wie von Modemagazinen gecastet wirken, noch nicht da.
Auf einmal fragte mich einer der jungen Männer, ob ich Drogen kaufen wolle, nein, ich wiegelte ab, ich nähme keine Drogen. Einer lachte und gratulierte mir, Drogen seien nicht gut, aber offenbar teilten sie nicht alle seine Meinung. Dafür bot mir der nächste ein Bier an, ich hätte schon genug getrunken, sagte ich, ich sei auf einer Party gewesen. Eigentlich wollte ich nur in Ruhe gelassen werden, ich hatte genug geredet auf der Party, innerlich begann ich die Stationen zu zählen, die ich noch fahren musste
Die deutschen Medien seien Scheiße, sprach mich mein Gegenüber wieder an, sie erzählten nur Lügen. Ob ich dem beipflichten würde?
Ja, sagte ich ja, worauf ein anderer meinte, der Typ da, er deutete auf den, der am Fenster saß, käme aus Braunschweig. RTL und Braunschweig seine eine katastrophale Kombination, antwortete ich, da sei nichts mehr zu machen. Ich dachte an ein böses Zitat von Gerhard Polt, das aber jetzt unangebracht zu sein schien. Sie lachten, obwohl mein Scherz nicht gut war. Herrje, wieviele Stationen noch. Was wollten sie von mir, einem dünnen, älteren Mann im Mantel und mit modischer Brille? Sollte ich aussteigen und auf den nächsten Zug warten?
“Was hältst Du von dem IS?”
Plötzlich stand Frage meines Gegenübers im Raum. Er hatte ein durchaus sympathisches Gesicht, wirkte aber so, als wolle man mit ihm nicht gern Streit haben. Alle sahen mich an. Offenbar war es ihnen ernst. Ich überlegte, was ich antworten sollte, und ich merkte, dass sie mir Zeit ließen, eine Antwort zu finden.
“Der IS zerstört den Islam,” antwortete ich.
Das Gesicht meines Gegenübers hellte sich auf.
“Danke”
Alle gaben mir die Hand und nannten ihre Namen. Mein Gegenüber sah mich an. Ihm bedeute der Islam viel, sagte er. Er läse oft im Koran, das gebe ihm Frieden. Ob ich den Koran kenne?
Nein, musste ich gestehen, nein.
“Man sieht Ihnen an, dass sie viel denken und lesen. Warum lesen sie den Koran nicht?”
Mein Gegenüber war längst auf das höfliche Sie übergewechselt. Ich wusste keine Antwort, die Ehre, die es bedeutet, als Nichtmuslim so angesprochen zu werden, beschämte mich. Mein Nachbar, der offenbar Spiritualität eher handfest deutete, liess mich an seinem Gras riechen. Dann standen sie auf, es war der Hermannplatz.
Beim Aussteigen gaben sie mir nochmals die Hand. Ich sah Ihnen nach, sie schienen aufgesogen zu werden in der Menge, die den Bahnsteig bevölkerte.
Das Gras meines Nachbarn hatte übrigens hervorragend gerochen.