Der Untergang des Proletariats

Denken

Soho HouseIn seiner Sammlung von Essays, die Freibeuterschriften genannt wurden, hatte Pasolini den Untergang des Proletariats vor seinen Augen gehabt. Nicht dass es etwa seitdem weniger Arme gegeben hätte oder gar für viele die wirtschaftlichen Verhältnisse keineswegs prekärer geworden seien, verschwunden ist die Klasse des Proletariates als eine eigenständige, stolze Gruppe, die unter sich Solidarität gekannt hatte und sich durch Sprache, Kleidung und Gestus als von den Übrigen abgegrenzt definiert hatte. Ausgebeutet, das hatte ja der Marxismus den Proletariern erläutert, wurden sie durch die inhärente Struktur des kapitalistischen Systems.

Wer heute vor Call-Centern oder ähnlichen Zentren des Niedriglohnsektors steht und die Beschäftigten, die in der Regel mit dem Mindestlohn abgespeist werden, in der Pause draussen rauchen sieht, wird sie nicht als das erkennen, was sie sind, als working poor, auf deren Kosten Andere für sich reichlich Profit erwirtschaften — viele Beschäftigten werden sich Mühe geben, nicht als Proletarier zu erscheinen. Sie haben den Stolz ihrer Klasse verloren, wenn sie so tun, als seien sie kein Bodensatz in der Hierarchie der Erwerbstätigkeit.

Slavoj Žižek hatte jüngst in der Zeit vor der Falle gewarnt, in die westliche Gesellschaften sich nach dem Untergang der radikalen Linken hineinbegeben. Der Liberalismus, der als Leitmotiv westliche Gesellschaften bestimmt, sei kein Gegengift zu dem wachsenden Strom der Fundamentalisten und der Faschisten: “Die jüngsten Schicksalsschläge des muslimischen Fundamentalismus bestätigen Walter Benjamins alte Einsicht, dass jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeugt: Der Aufstieg des Faschismus ist das Versagen der Linken, zugleich aber auch ein Beweis dafür, dass es ein revolutionäres Potenzial, eine Unzufriedenheit mit den Verhältnissen wirklich gab, welche die Linke nur nicht zu mobilisieren verstand.”

Foto: Soho House, Berlin Mitte, ein höchst elitärer Club für die Wenigen. Das Gebäude beherbergte früher die Zentrale der kommunistischen Partei in den Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts.