Lesung vom 24.2.2018 in der Galerie Zwitschermaschine
– Goyas Bild, sagte Theodor, müsse man nicht als Kunst betrachten, sondern als eine Vision des missglückten Lebens. Man müsse sich vorstellen, in die eigenen, zappelnden, vor Schmerz schreienden Kinder zu beissen und ihnen sukzessive alles Fleisch aus dem Hals herauszureissen bis sie zu atmen aufhören und dann mit blutigem Mund ihren Schädel aufzubrechen und den Kopf zu verschlingen. Ja, es gelte wirklich in das weiche, wehrlose und saftige Fleisch eines Säuglings die Zähne zu versenken, ja, täte man es, man wäre das Monster, das Goya gemalt habe, ein alter, hässlicher, knochiger Greis mit vor Schreck aufgerissenen Augen, der seinen Sohn verspeist. Mehr noch, ein abstoßender Dämon ist auf dem Bild, ausgezehrt und böse, dessen knochige Pranken den Rest seines winzigen, toten Kindes halten, indessen ihm das Blut aus dem Munde tropft. Sieh es, sagte Theodor, sieh es immer und immer wieder an und dann stelle Dir vor, Du bist es, der auf immer dazu verdammt ist, seine Kinder, seine Hoffnung zu essen, weil Saturn die Herrschaft übernommen hat und alles unter das erbitterte Regiment bleierner Zeit stellt. Meditiere dieses Bild nicht als Kunstwerk, sondern als Symbol Deiner Situation, alles was du dir erhoffst wird von dem Monster, das nachts auf deinem Bettende sitzt, verschlungen. Sag Dir einfach, es gibt keine Hoffnung, es wird keine Änderung mehr geben, nicht mehr und niemals, geschweige denn zum Guten, reiß alle Gedanken daran aus deinem Herzen und zerstöre sie, wie Saturn, der seinen Sohn verschlingt. Endstation, Du bist gefangen, verstehst Du, Du musst Deine Hoffnung verzehren wie Saturn seinen Sohn. Saturn, das ist keine Handelskette, sondern ein Zustand, der unter der der Ägide eines furchtbaren Gottes steht…
– Das ist ja ein sehr anspruchsvoller Text, Martha. Also, Martha, das ist dein Vorschlag? Willst du unsere Hörer überfordern? Du magst doch weiterlesen, oder?
– Ja, natürlich, eine Vision einer antizipierten Hölle: jetzt schon hier und doch unverrückbar, weil ohne Änderung und Hoffnung, genauso wie der Monolog, der sich immer und immer wiederholt, sobald Theodor ein Glas Wein trinkt. Er hat etwas monomanisches wenn sie so spricht, als sei seine ganze Existenz auf diese Herrschaft des Gottes Saturn reduziert, der seine Kinder verschlingt, ein Groll, der sich auf alles, auf sich und sein Leben bezog, das sich jetzt an sechs Tagen in der Woche in einem Museum vollzieht, wenn er mit seinem schlecht sitzenden Uniform und dem Namensschild am Revers auf die Exponate aufpasst und durch die Gänge und Räume läuft…
– Martha, wir haben in dieser Sendung nur wirklich tragische Fälle, keine lyrischen Entgleisungen. Verstehst du, kurz und knackig, damit die Zuschauer einen wohligen Schauer fühlen, uns, uns geht es doch besser, wir, wir sind in bei uns in Sicherheit, der Eishauch der Globalisierung trifft nur die, die jetzt in dieser Sendung sind. Krankenschwestern, die nach einer Achtzig Stunden Woche Burnout Syndrome zeigen und sich nur noch mit Chrystal Meth in die Klinik trauen, Paketpostfahrer, die als selbstständige Subunternehmer für umgerechnet fünf Euro die Stunde arbeiten… Die schildern in sieben Minuten so präzise ihre Arbeitsbedingungen, dass sie von den Zuschauern Boni für gefühlten Schauer erhalten. Aber diese komische Theodor? Das konnte doch dieser dauerdepressive Österreicher mit seiner Auslöschung, dieser Bernhard da, besser!
– Auslöschung? Meintest Du das Dritte…
– Nein, das ist ein Roman von Thomas Bernhard. Bert, Theodor wählt die Linke, da gibt es keine Entgleisungen verbalerseits. Wir müssen auf Nummer sicher gehen…
– Der Nußmann, der das bei Primetime Mover GGmbh zu verantworten hatte, der kann keinen Fuß mehr in eine deutsche Sendeanstalt setzen! Da muss man doch sorgfältig casten! Auch wenn das ein frustrierter Eismann war, der in Sachsen für vier Euro die Stunde selbstständig gearbeitet hatte!
– Eismann?
– Ja, Eismann, der fährt als Franchiseunternehmener Tiefkühlkost aus. Und dann…. dieser Spruch, mit dem Refrain, der wirklich passt, wir haben Spaß dabei. Den Refrain hätten die Nazis auch noch in ihre KZ-Türen schmieden können. Der Eismann ist inzwischen wohl bald Hausbesitzer ins Sachsen, du weißt ja um die Wahlergebnisse. Jetzt Martha, spendet dein Theodor wenigstens Blut um sich die Miete leisten zu können?
– Lars, nein, er sieht so anämisch aus, dass er aus hochkannt aus jedem Blutspendemobil fliegen würde.
– Hinkt er? Ist er über Siebzig? Bessert er seine Rente auf? Hat er offenen Beine? Martha, du weißt doch was das Ziel dieser Sendung ist!
– Lars, das weiß ich. Ich habe mich oft mit dem Konzept beschäftigt, im Grunde geht es unserem Auftragebern darum, durch die Exposition gesellschaftlich prekärer Lebensverhältnisse nicht das an sich bei moralisch ausbalancierten Individuen auftretende Gefühl spontaner Solidarität zu evozieren sondern eine emotionale Distanzierung durch die Selbstvergewisserung der eigenen sozialen Positionierung…
– Martha. Es geht um die Emotionen!
– Davon spreche ich!
– Martha. Aber nicht wissenschaftlich, sondern emotional! Du mußt die Menschen am Herzen berühren, du mußt ihr Herz in der Hand halten, du musst es massieren und dann es fast neu ihnen zurückgeben. Es gibt ein wirklich treffendes Video einer englischen Frauengruppe auf Safari in Afrika. Die filmen und stehen auf ihrem offenen Range Rover und haben eine magere Löwin mit Jungen, die sich in den Hintern eines Bullen verbissen hat, vor der Kamera. Ab und zu brüllt der Bulle vor Schmerz. Weißt du was die Frauen im Auto sagen?
– Nein.
– Kick him. Aber das kann ein Bulle nicht. Pferde können ausschlagen, Rindviecher nicht. Weißt du was passiert?
– Einer gibt auf.
– Nein, die Löwin beißt sich durch. Ein riesiges Stück Darm fällt raus und der arme Bulle geht in die Knie. Und dann?
– Der Bulle ist tot, oder?
– Nö, so schnell geht das nicht. Was machen die Frauen im Range Rover?
– Die sind entsetzt?
– Nein. Die freuen sich. O God, what a chunk was this… die Lachen und giggeln. Weisst Du was das heisst? Ihr Empathie wurde durch Jagdlust ersetzt. Jetzt, jetzt sind sie heiss, richtig heiss. Sie freuen sich für die Löwin! Für ihre hungrigen Jungen. Ihre Sympathie wechselt mit einem Schlag von den Bullen, der vor Schmerz brüllt zu der ausgehungerten Löwin, die um sich und ihre Jungen kämpft! Die Viecher fressen sich gegenseitig! Dieser Perspektivenwechsel, das ist das, was auf dieser Safari passiert und was auch bei uns, bei unseren Zuschauern passieren muß! Das ist Fernsehen! Das ist das, was unsere Auftraggeber wollen! Das ist die geheime Botschaft, aber die Trottel in der Sendung werden das nie merken. Und das ist unsere Sendung! Das ist das Fernsehen, was wir brauchen, um im Wettbewerb mit Asien und den USA zu bestehen! Emotional points! Suspense! KATHARSIS! Bei den Griechen gingen die Menschen in das Theater um durch das Miterleben der Tragik der Götter emotional gereinigt zu werden! Und jetzt!!! Jetzt!!!!! Ein muskulöses Hochleistungsland! Wir nehmen ein Herz aus Fleisch und verwandeln es in eine Herz aus Stein!
– Ich fürchte, das hast du irgendwo aus der Bibel geklaut, da ist es nur andersrum.
– Denk an unsere Auftraggeber. Wir arbeiten für die Primetime Mover GGmbh, die im Auftrag der Teledeutsch LTD den frühen Abendsendekanal Nachbarschafts TV auf PRIME THREE bestückt. PRIME THREE ist nur für zahlende Abonnenten auf Kabel zu erhalten, wobei die Gruppe, die wir vorstellen, im Grunde sich diesen Kanal garnicht leisten kann, weil sie als Minderverdiener und Minderleister verrückt wären, diese Abokosten zu bezahlen. Verrückt. Wenn die also den Fernseher anmachen und das kaufen, haben sie eh einen an der Klatsche.
– Und jetzt sage ich Dir, jetzt frage ich Dich, wen hast Du erwählt, wen, wen?
– Den falschen, fürchte ich.
– Nein, den richtigen. Du hattest recht. So einen Trottel findet man selten.