Manchmal ist jener Schwert und dieser Scheide, manchmal umgekehrt

Theologie

Dieser Satz, der auf schwulen Sex verweist, ist Zitat aus der Abhandlung über die Liebe im theologischen Hauptwerk von Ahmad al Ghazzali, einem der wichtigsten islamischen Theologen und Mystiker.

Ahmad al Ghazzali lebte im Mittelalter kurz nach der Jahrtausendwende in Bagdad, der damaligen intellektuellen und wirtschaftlichen Metropole. Er gilt als derjenige, der die Liebeslyrik und Mystik der Sufis mit der Orthodoxie des Islams vereinen konnte, in seinen Gedanken über die Liebe legt er nochmals die Grundzüge einer Schule muslimischer und auch antiker Theologie dar.

Gedanken über die Liebe liest sich allerdings weniger als theologisches Traktat als wie eine Abhandlung über die verlorene Sehnsucht nach dem Geliebten, nach seinen ersten Bartstoppeln, dem Zwinkern in seinem Gesicht und seinem Lachen. Dieser Text ist in Wahrheit die Absage an die selbstoptimierende Kultivierung des Selbst. Letztere ist für Ghazzali weit weniger wert als die brennende Sehnsucht der Liebe und der Wunsch, eins zu sein mit dem, den man begehre. Einen Unterschied zwischen der Liebe zu einem Menschen (seine Abhandlung ist, was die Wahl des Objektes angeht, wesentlich freier als moderne Texte es sein könnten) und zu Gott sieht al Ghazzali nicht, es sei die Hingabe, die alles entscheide. Es gelte wie Motten ins Licht zu fliegen, und alles, was Subjekt und Status sei, sei gleichgültig angesichts der Liebe der Seele zu dem Geliebten (auch da, was den Staus des Königs und des Heizers betrifft, ist Ghazzali erfrischend unorthodox).

“Eine vollkommene Liebe und ein vollkommener Herzräuber,
Das Herz voller Worte und die Zunge stumm, dass sie nicht reden kann. –
Wo gibt es denn einen seltsameren Zustand?
Ich leide Durst und vor mir fliesst reines Wasser.”

Und Heute?

Würde man heutige Muslime fragen, ob die Sehnsucht nach einem jungem Mann Angeld auf die Vereinigung mit Gott sei, man würde bestenfalls Kopfschütteln ernten. Vergessen ist, dass lange Zeit der muslimische Raum ungleich toleranter gegenüber der Homosexualität als der Westen war. T. E. Lawrence beschreibt etwa in den Die sieben Säulen der Weisheit die ungenierten erotischen Beziehungen seiner arabischen Diener mit ihren Freunden. Auch Afghanistan war lange Zeit Traumziel der schwulen europäischen Intellektuellen. Ludovic-Mohamed Zahed erklärte in einem Interview mit dem Spiegel am 3.Mai 2016, auch Mohammed habe Schwule und Transvestiten in seinem Haus gehabt. Vorbei, die Lage Homosexueller in muslimischen Ländern ist heute, gelinde gesagt, extrem prekär. Dafür, Saudi Arabiens, dem IS und Al Quaida sei dank, dürfen sich jetzt junge Männer in die Luft sprengen um ins Paradies zu gelangen. Sufis sind ebenfalls Ziel ihres Hasses, dank der Salafisten und saudischer Geldgeber.

Vergessen ist, dass im Westen eine ähnliche, wenn auch nur intellektuelle, Verarmung stattgefunden hat, die jetzt in der völligen Unfähigkeit gipfelt, den Gottesbeweis des Thomas von Aquin zu verstehen. Thomas von Aquin war nicht nur Rezipient von Aristoteles, der ähnlich wie Ghazzali gedacht hatte, sondern auch natürlich von Ghazzali selbst (die Intellektuellen des Mittelalters waren, was die Perlen der Mystik in den anderen Religionen angeht, angenehm vorurteilsfrei). Dass die Dinge sich bewegen, es also einen ersten Beweger gäbe, war für ihn, Thomas von Aquin, weniger die Frage, ob bei dem Uhrwerk der Welt irgendjemand die Uhr aufgezogen habe oder das Uhrwerk erschaffen habe, sondern die Frage der Sehnsucht, die in uns Menschen und allen anderen Wesen liege und nach der Schönheit suche. Sieht man es so, dann erhalten seine Gedanken ihre eigene Poesie.

Zitate: Ahmad al Ghazzali, Gedanken über die Liebe, übersetzt von Richard Gramlich, 26 und 39. Für Ahmad al Ghazzali sind verschiedene Transkriptionen gebräuchlich.