Die Menschen des Barockes erscheinen für uns scheinbar bereits Wesen der Moderne zu sein, also Menschen, die wir für verständlich und möglicherweise rational halten, aber, sieht man die Rekonstruktionen barocker Schlösser, die in Berlin und Potsdam errichtet werden, so fällt eines auf, was noch fehlt und möglicherweise aus finanziellen Gründen nicht wieder aufgestellt wird oder gar als unnötig weggelassen wird, obwohl es zu barocker Architektur dazugehört: die Attika-Figuren.
Miami Beach / Hotel
Barcelona / Wohnhaus
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Attika-Figuren sind die überlebensgroßen Steinskulpturen auf den Gesimsen, die vom Dach aus wie Wächter über den Raum wachen, der das Gebäude umgibt. Meistens wirken sie aus einer bestimmten Entfernung genauso groß wie Menschen am Boden und der Kundige weiß, jetzt betritt er sozusagen den tatsächlichen und auch geistigen Schutzraum des Herrschers oder der Hauses (Barock und Rokoko waren Zeiten, in denen wenige Familien nahezu alles in Europa beherrschten). Was dargestellt wurde waren meistens Motive aus der Antike, die Dynastien sahen sich als Sachverwalter der antiken Kultur, ihre Götter und Göttinnen entstammten dem antiken Pantheon, der nun als ideologischer Raum für ihre Herrschaftsansprüche dienen mußte. Was mit der Renaissance entstanden war, war ein eigenartiger ideologischer Hybrid für die Souveräne aus allmählich verschwindenden christlichen Motiven, ein bisschen Humanismus und reichlich antiker Mythologie, der nun als Leitfaden und Schutzmächte für die Herrschenden dienen sollte.
Diese plastischen Verkörperungen spiritueller Mächte waren nicht neu, während der Gotik wurden an den großen Kathedralen Heiligenfiguren in der Fassade integriert, die umso größer wurden, je höher sie platziert wurden. Sah man dicht vor der Fassade nach oben, erschienen die Heiligen gleich groß zu sein wie die Passanten auf dem Platz vor der Kirche, obwohl die Figuren manchmal in mehr als vierzig Meter Höhe aufgestellt waren, denn aus der Nähe gesehen sollten die Türme der Kirchen die Menschen nicht erdrücken, obwohl die Türme vielleicht aus Dutzenden von Kilometern zu sehen waren. Hier waren es die Heiligen, die wachen sollten, als wären sie Soldaten, die auf Türmen stehen und in das Land lugen, jederzeit bereit das Vorfeld um die Mauern zu schützen. In der Backsteingotik der spätmittelalterlichen Handelsstädte verschwinden die Figuren, die Türme werden karger und nur noch durch Gesimse gegliedert: Man sieht, wie im urbanen Raum die Kirche ihre ideologische Herrschaft verliert, auch die Rekonstruktion des Kölner Doms im 19.Jahrhundert verzichtet auf die steinernen Wächter, als wären sie etwas, was das 19.Jahrhundert nicht mehr begreift.
Nach dem Rokoko verschwinden ebenfalls die Attika-Figuren, manchmal erscheinen noch abstrakte Vasen und Symbole des Ruhmes auf den Gesimsen, um dann auch nicht mehr verwendet zu werden: Die Epoche des Adels geht vorbei, die Bürgerlichen drängen an die Macht, nur Antoni Gaudí in Barcelona und das Art Déco lassen abnorme Formen wie Plastiken auf dem Dach residieren, als wäre Kunst ideales Leitmotiv und Schirmherr der Welt. Natürlich bildeten sonst immer Kamine, Ziergiebel, Gesimse und Halbstöcke einen visuellen Übergang zwischen dem Gebäude und Himmel. Jetzt sind auch auch diese verschwunden, oft bleibt nichts außer schmucklosen Flachdächern, Penthäusern und Kühlaggregaten, als wäre über unserem Tun etwas sinnlos Poetisches verschwunden, was früher war.